Das Ergebnis der Wiener Wahlen ist sicher nicht nach jedermanns Geschmack. Die bekannten Berufspropheten, die regelmäßig in Funk und Fernsehen vorgeben, uns die Welt erklären zu können, haben wieder einmal versagt. Von ähnlicher Qualität scheinen auch jene Politikerinnen zu sein, die zwar nicht wissen, wie es weitergehen soll, außer dass es anders sein soll, dafür aber schon die richtigen Leute haben. Und diese auch gleich installieren. Andere, nicht in einer Position, um über die Besetzung von Funktionen entscheiden zu können, gefallen sich im Sammeln von Unterschriften gegen ihnen missliebige Politikerinnen. Dabei wäre jetzt doch die Zeit gekommen, um mit dem Analysieren zu beginnen, um nachzudenken, und um all die jahrelang gedroschenen Phrasen endlich zu entsorgen. Fred Sinowatz hatte doch recht. „Es ist alles sehr kompliziert“ sollte endlich als eine der klügsten Aussagen eines Politikers gewürdigt werden.
Positiver Ansatz wäre auch, Wählerinnen nicht für dumm oder undankbar oder blind zu halten. Das oft gehörte „Es muss sich was ändern“ ist Ausdruck einer unbestimmten und dennoch sehr realen Unsicherheit und der daraus resultierenden Angst. Wenn in Wien trotz aller Bemühungen der Stadtverwaltung, Arbeitsplätze zu sichern, dies nicht gelingt, und zwar schon lange bevor die Flüchtlingswelle einsetzte (!), dann stimmt vielleicht in unserem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem etwas nicht. Das lässt sich auch durch eine verbesserte Information nicht beheben. Auch nicht durch die Errichtung von Zäunen an den Grenzen, weder um Österreich noch um Wien. Wer dies wider besseren Wissens behauptet, macht sich der Verhetzung schuldig. „Unser Ziel war nicht zu informieren, sondern anzuspornen, anzufeuern, anzutreiben“ schrieb ein gewisser Dr. Joseph Goebbels schon 1932 in seinem „Kampf um Berlin“ im Kapitel Angriff auf Seite 188. 70 Jahre nach dem Ende der dadurch verursachten größten Katastrophe, die die Menschheit je erlebte, sollten Anhänger einer solchen Geisteshaltung weder in Wien noch in Oberösterreich noch im Burgenland noch im Bund als Koalitionspartner auch nur in Erwägung gezogen werden.
In einer Zeit der weltweiten Wirtschafts- und Umweltkrisen und immer neuer Kriege und zusammenbrechender Staaten sollten wir in Österreich anfangen zu überlegen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Wir sind noch nicht am Verhungern und wenn sich statt jährlich drei nur zwei Urlaubsreisen rund um den halben Erdball ausgehen sollten, wird man lernen müssen, damit zu leben. Es sage niemand, auf das kleine Österreich höre niemand. Bruno Kreisky hat bewiesen, dass nicht immer die Größe des Landes entscheidend ist, sondern es auch von der Qualität der Überlegungen und Lösungsvorschläge abhängt. Auch wenn man dabei manchmal bei vermeintlich guten Freunden aneckt.
[ WAZ November 2015 ]
Kategorien:Österreich, Politik, WAZ, Wien
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