Informieren, mitreden und mitbestimmen

Der Errichtung des Wohnparks Alt-Erlaa ging ein längerer, zum Teil sehr kontroversiell geführter Entscheidungsprozess voraus. Architekten und Psychologen lieferten genügend Futter für Politik und Journalismus, um alle möglichen Horrorszenarien an die Wand zu malen. Das ging so auch nach der getroffenen Bauentscheidung ungebrochen weiter.

Runde 1: Informieren, fragen & antworten

In dieser Situation entschied der damalige GESIBA-Geschäftsführer, Dr. Anton Muchna, 1974, ein Jahr nach dem Baubeginn und zwei Jahre vor der voraussichtlichen Besiedelung, die zukünftigen BewohnerInnen regelmäßig über den Baufortschritt zu informieren und gleichzeitig Fragen im Zusammenhang mit Sicherheit, Kindergarten- und Schulangeboten, Verkehrsanbindungen etc. zu beantworten.

Mieterinformation

Franz Klar, damals Mitarbeiter in der GESIBA, wurde beauftragt, eine eigene „Zeitschrift für den Wohnpark Alt-Erlaa“ zu schaffen: Das Alt-Erlaa Journal (AEJ) erblickte noch 1974 das Licht der Welt. Neben Information für die künftigen MieterInnen sollte es diesen auch eine Plattform für Anregungen, Meinungen und Diskussion bieten.

Die Anzahl von anfänglich vier bis sechs Ausgaben pro Jahr erhöhte sich nach der Besiedelung von Block A und B auf monatliches, ab 1980 auf zweimal monatliches Erscheinen der 8-seitigen, für die MieterInnen kostenlosen Zeitung. 1982 wurde die Redaktion des AEJ dem Mieterbeirat übertragen, Herausgeber waren weiterhin BESSER WOHNEN bzw. zeitweilig die AEAG. Im September 1997 stellten die Herausgeber das AEJ, das ab 1987 nur mehr monatlich erschien, gänzlich ein.

Als umfassend informierendes Printmedium für den Wohnpark und die benachbarten Wohnhausanlagen fungiert seither ausschließlich die private „WAZ – Wohnpark Alterlaa Zeitung“, die seit 1992 in Nachfolge des Magazins „DER WOHNPARK“ monatlich erscheint.

Das 1984 gestartete, einmal wöchentlich von MieterInnen produzierte „Wohnparkradio“ wurde bald durch die Rundfunkbehörde untersagt; das ebenfalls von MieterInnen ins Leben gerufene Wohnpark TV läuft hingegen seit 1998.

Mietermitbestimmung

Gleichzeitig mit der Information der BewohnerInnen sollte auch die Mietermitbestimmung verwirklicht werden. Das Kreiskysche Diktum von der „Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie“, von den Gewerkschaften als Aufgabe für die Arbeitswelt angenommen, sollte im Wohnpark Alt-Erlaa für den Wohnbereich realisiert werden. Die Verwirklichung der sehr ambitionierten Vorstellung einer „Mietermitbestimmung sofort“, für die es keinerlei Erfahrungswerte gab, wurde in Angriff genommen. Bereits in der ersten Ausgabe des Alt-Erlaa Journals wurde auf der Seite 1 berichtet, dass die „Aktion zur Vorbereitung der Mitbestimmung im Anlaufen“ sei.

Ein umfassender Fragebogen sollte den zukünftigen MieterInnen Gelegenheit geben, ihre Wünsche und Bedürfnisse darzulegen. Gleichzeitig sollten die Ergebnisse auch als erweiterte Detailplanungsunterlage für den Bauträger Verwendung finden.

Von den 720 ausgesandten Fragebögen an alle zukünftigen MieterInnen des A-Blocks, die bereits einen fixen Vertrag abgeschlossen hatten, kamen 464 zurück, meist vollständig ausgefüllt – beachtliche 64,44% Rücklauf. Dabei waren für Männer 153, und für Frauen 161 Positionen zu beantworten – und das nicht anonym!

Es zeigte sich, dass fast ein Viertel aller Befragten bereit war, eine ehrenamtliche Funktion als Vertrauensperson der Mieterschaft anzunehmen. Das Ergebnis bedeutete, dass Interesse am Mitwirken bei der Lösung gemeinsamer Probleme vorhanden und Bereitschaft zur Kommunikation gegeben war.

Nun konnte man an die Umsetzung gehen. Als erste Maßnahme wurde der „Aktionärsbeirat“ konstituiert, der eine kontrollierende Funktion wahrnehmen sollte. Als nächster Schritt war auch an die Gründung von Kultur- und Sportvereinen gedacht, die auf gemeinnütziger Basis an der Verwaltung und dem Betrieb der Gemeinschaftseinrichtungen (Klubräume, Schlechtwetterspielplätze u. dgl.) verantwortlich mitwirken sollten.

Fazit: Die GESIBA hat mit der „Aktion Mitbestimmung“ als erstes Wohnbauunternehmen in Österreich eine Erhebung über die Familien-, Berufs- und Altersstruktur, die Freizeitwünsche der künftigen BewohnerInnen sowie deren Bereitschaft, gestaltend bei der Errichtung, Ausstattung, dem Betrieb und der Verwaltung ihrer Wohnhausanlage mitzuwirken, durchgeführt. „Die Grundlagen sind geschaffen worden, die eigentliche Arbeit steht aber noch bevor“ resümierte daher Franz Klar im Alt-Erlaa Journal in der Ausgabe 1/1975.

Runde 2: Der Mieterbeirat

Franz Klar entwickelte in Folge auch das Statut für den Mieterbeirat. Jene 24% der künftigen BewohnerInnen, die sich bei der Fragebogenaktion bereit erklärten, eine Funktion als MietervertreterIn auszuüben, bildeten den KandidatInnen-Pool für die erste Bestellung dieser Mietervertretung. Der erste Mieterbeirat sollte aus 9 Mitgliedern bestehen, 6 aus dem Block A und beratend 3 VertreterInnen der GESIBA. Die Mitglieder des Mieterbeirats wurden in einem ausgeklügelten Verfahren durch das Los bestimmt. Frauen, Männer, ArbeiterInnen, Angestellte, PensionistInnen und andere sollten gleichermaßen ihre Vertretung in dem neuen Gremium finden. Klars Konzept sollte auch sicherstellen, dass die Mietervertretung nicht parteipolitisch vereinnahmt wird. Das Mieterbeiratsstatut wurde 1977 im Aufsichtsrat der inzwischen gebildeten „Wohnpark Alt-Erlaa Gemeinnützige Wohnungsaktiengesellschaft“ (AEAG) gebilligt.

Der geloste erste Mieterbeirat war, wie vorgesehen, bunt zusammengesetzt. In der konstituierenden Sitzung am 20. April 1977 wurde Schuldirektor Franz Kröpl zum Obmann gewählt, Dr. Gerhard Kastelic (Prokurist in der Flughafen Wien Betriebsgesellschaft) zum Stellvertreter, Monika Bachl (Bankkauffrau) wurde Schriftführerin, Susanne Mitterbauer (Groundhostess am Flughafen Wien) deren Stellvertreterin, Kassierin wurde Luise Brunner (Hauswirtschafterin) und ihr Stellvertreter Otto Konezny (technischer Angestellter im graphischen Gewerbe). Von der AEAG wurden Diplompsychologin Vera Fischhof, Heinz Kommenda (Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik) und Franz Klar entsandt.

Eine der wesentlichen Aufgaben dieses Mieterbeirates war es, neben dem nicht unbeträchtlichen „Tagesgeschäft“ in einer noch für einige Jahre im Bau befindlichen Wohnhausanlage, die Organisation der ersten „richtigen“ Wahl des Mieterbeirates, die 1978 stattfand.

Die Mieterbeiratswahlen fanden bis 1990 in zweijährigem, seither in dreijährigem Abstand statt. Aktiv und passiv wahlberechtigt sind alle BewohnerInnen ab dem 16. Lebensjahr, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft. Die Wahlkommission wird seit der 2. Wahl vom Kultur- und Sportverband Alt-Erlaa (KAE) gestellt. Seit der Vollbesiedelung des Wohnparks im Jahr 1985 besteht der Mieterbeirat aus 12 Mitgliedern, 11 werden gewählt, das 12. Mitglied wird vom Kaufleuteverein des Kaufparks Alt-Erlaa entsendet. In den bisher 16 Funktionsperioden des Mieterbeirates wurden insgesamt fünf Frauen und vier Männer, zum Teil mehrmals, zu Vorsitzenden des Mieterbeirats gewählt.

Zum Unterschied von vielen anderen Wohnhausanlagen in Österreich existiert der Mieterbeirat im Wohnpark Alt-Erlaa also nach bald 40 Jahren noch immer. Er existiert nicht nur, sondern ist zu einem voll integrierten Bestandteil im Leben des Wohnparks geworden. Der 1996, auf Wunsch des Mieterbeirates, installierte Wohnparkmanager, die Betriebsleitung und Hausverwaltung arbeiten mit dem Mieterbeirat kontinuierlich zusammen. Das geschah in der Vergangenheit nicht immer friktionsfrei, führte aber immer wieder zu letztendlich guten Ergebnissen (s. S. 88, „Selbst ist der Zwerg“ oder die Geburt unseres Altstoffzentrums,) und fördert somit wesentlich die anhaltend hohe Wohnzufriedenheit.

Die BewohnerInnen sind auch im Aufsichtsrat der AEAG mit drei stimmberechtigten Mitgliedern vertreten, die vom Mieterbeirat nominiert werden. So ist auch formal der regelmäßige Kontakt mit der Geschäftsführung der AEAG gewährleistet. De facto wurde im Aufsichtsrat bisher noch nie eine Entscheidung gegen die MietervertreterInnen getroffen. Im Gegenteil, am 29. August 2013 wurde im Aufsichtsrat wieder eine Neufassung des Mieterbeiratsstatuts mit wesentlichen Erweiterungen beschlossen.

Abschließend sei noch erwähnt, dass der AEAG-Aufsichtsrat bisher regelmäßig auf eine Entschädigung verzichtet hat.

Informationen des Mieterbeirats finden sich unter: https://mbr-alterlaa.at/.

Runde 3: Kultur und Sport

Es mag – zu Recht – der Eindruck aufkommen, dass in der Gründungsphase des Wohnpark Alt-Erlaa nichts Bleibendes ohne Franz Klar entstand. Dieser war von Anfang an in der GESIBA mit der Öffentlichkeitsarbeit für den Wohnpark im Sinne seiner gesellschaftlichen Erschließung beauftragt. Klars Konzept entstammten die Fragebogenaktion zur künftigen Mieterpartizipation, das erste Statut für den Mieterbeirat und die Bestellung des ersten Mieterbeirats sowie der Vorschlag zur Gründung eines Alt-Erlaaer Kulturverbandes zur Organisierung der Freizeitmöglichkeiten.

Auch bei letzterem Punkt war eine rege Beteiligung bereits aus den Fragebogenergebnissen absehbar. Interesse an Kultur- und Sportaktivitäten wurden dort ebenso angemeldet wie etwa an einem Diskussionsforum oder einem Freizeitklub.

Die Wohnparkklubs

Heute, 2015, gibt es im Wohnpark Alt-Erlaa 33 aktive Klubs, Vereine, Partei- und kirchliche Organisationen, von einer Alpenvereinssektion bis zum Tischtennisklub – um die Liste alphabetisch zu umreißen. In vielen Vereinen ist die Gründergeneration inzwischen in den Ruhestand getreten. WohnparkbewohnerInnen der zweiten Generation sowie später Zugezogene sorgen heute für reges gesellschaftliches Leben. Einige Klubs und Vereine haben sich über ihre ursprüngliche Zielsetzung hinaus weiterentwickelt – ausschließlich auf Grund von Bewohnerinitiativen. So gibt es im Wohnpark mit dem WFC-Podium eine der bemerkenswertesten Kleinkunstspielstätten Österreichs.

Der Kultur und Sportverband Alt-Erlaa (KAE) als Dachorganisation aller Vereine sorgt für einen möglichst reibungslosen Ablauf des Klubgeschehens. Zu seinen Aufgaben gehört neben der Vergabe von Klubräumen auch die Vertretung gegenüber der AEAG. Öffentlich trat und tritt der KAE vor allem durch Veranstaltungen für den gesamten Wohnpark auf, etwa die legendären jährlichen „Kulturspektakel“ bis Ende der 1980er-Jahre, oder die großen Feste zu den runden Geburtstagen des Wohnparks. Durch die Organisation der Mieterbeiratswahlen (u.a. Besetzung der Stiegenwahlkommissionen – um den MieterInnen das „Wahllokal“ direkt ins Haus zu bringen) leistet der KAE auch einen substanziellen Beitrag zur Wohnparkdemokratie.

Kultur findet im Wohnpark jedoch nicht nur im Rahmen von Vereinen statt. So hatte die „Edition Alt-Erlaa“, eine Gründung von zwei kunstinteressierten Wohnparkbewohnern, auch wesentlichen Anteil an der Auswahl der Bilder für die Eingangshallen des B- und des C-Blocks durch WohnparkbewohnerInnen ebenso wie an der künstlerischen Ausgestaltung der Wohnparkkirche (s. S. 34 ff, Kunst am Bau).

Eine Übersicht über die Freizeiteinrichtungen des Wohnparks und Informationen des KAE finden sich unter: https://alterlaa.wien/wohnpark/kae.

Keine letzte Runde

Die im Wohnpark installierte Mietermitbestimmung zeigt, dass gelebte Demokratie im Wohnbereich nicht nur möglich, sondern auch wesentliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben über Jahrzehnte hinweg ist. Viele BewohnerInnen erfreuten und erfreuen sich noch immer am Wohnpark, an seinen Einrichtungen und seinem speziellen gesellschaftlichen Klima. Viele begnügen sich, und das ist ihnen nicht vorzuwerfen, allein mit dem Konsum des Gebotenen. Wer immer aber sich gesellschaftlich einbringen will, sei es in einem der Vereine oder im Rahmen des Mieterbeirates, hat dazu Gelegenheit und ist herzlich willkommen.

Die Beteiligung an den regelmäßigen Wahlen zum Mieterbeirat schwankt über die Jahre. Das hat nicht nur mit einer allgemein sich ausweitenden Politikmüdigkeit zu tun. Die Erfahrung im Wohnpark zeigt, dass BewohnerInnen vor allem dann, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass ihre „Idylle Wohnpark“ gefährdet sei, schlagartig in großem Ausmaß aktiv werden können. So geschah es das letzte Mal 1996, als der damalige Vorstand der AEAG mit Zustimmung des Mieterbeirates die bestehende AEAG-eigene Hausbetreuung im Zusammenhang mit einer umfassenden technischen Erneuerung des gesamten Steuerungs- und Leitsystems aus Kostengründen „outsourcen“ wollte, wie es dem Zeitgeist der 1990er-Jahre entsprach. Sofort verdoppelte sich die Wahlbeteiligung.

In einem von zähen Verhandlungen geprägten ersten Jahr des 1996 neu gewählten Mieterbeirates konnte schließlich, auch gemeinsam mit dem Betriebsrat der Hausbetreuer, die „Fremdvergabe“ abgewendet werden. Der inzwischen ebenfalls neu bestellte Vorstand der AEAG verstand, dass die Anliegen und Bedenken der Mehrheit der BewohnerInnen valid waren und handelte entsprechend. Heute ist in der AEAG unbestritten, dass es am kostengünstigsten ist, anständig entlohnte und hoch motivierte Facharbeiter und Techniker zu beschäftigen.

Keine letzte Runde? Natürlich nicht, denn Demokratie wird nicht einmal eingeführt und dann nur noch verwaltet. Demokratie bedeutet dauernde, lebendige Weiterentwicklung. Bruno Kreiskys Idee von der „Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie“ wird auch im Wohnpark Alt-Erlaa des Jahres 2015 erfolgreich gelebt.

Wilhelm L. Anděl
Erstveröffentlichung in
40 JAHRE ALTERLAA
Die Geschichte eines Vorzeigeprojektes
Wien – 2015

%d Bloggern gefällt das: