Werte und Waffen

In einem Vortrag über „Musliminnen in Europa“ fragte eine Hörerin Amani Abuzahra*, ob sie denn nicht einfach eine Checkliste erstellen könne. Was so alles zu berücksichtigen sei im Umgang mit Musliminnen, und vor allem, welche Werte wichtig wären. „Gerne, wenn Sie mir eine Checkliste über christliche Frauen geben können, dann wäre mir sehr geholfen. Zwecks Anlehnung bei der Erstellung.“ Die Hörerin konterte: „Naja, aber DIE christliche Frau gibt es ja gar nicht.“

Genau das ist das Problem, DIE muslimische Frau gibt es genau so wenig wie DEN Flüchtling. Doch als Klischee ist er natürlich in der Tagespolitik bestimmter PolitikerInnen ebenso vertreten wie am Stammtisch. Sie, die Flüchtlinge, hätten andere Werte, andere Lebensvorstellungen und andere Lebensweisen und da muss man ihnen in einem Eintageskurs die österreichischen Werte vermitteln: Demokratie, rechtstaatliche Werte, die Mülltrennung und natürlich unsere fortschrittlichen Werte vom Umgang von Männern mit Frauen.

Unsere Werte auch einmal zu hinterfragen, kommt nicht in Frage. Bleiben wir beim Umgang mit Frauen, bei unserer praktizierten Vorstellung von Gleichberechtigung. In Österreich verdienen 19 % der Männer so wenig, dass sie keine Lohnsteuer zu zahlen haben. Bei den Frauen liegt der Anteil bei 40,2%! Das Standardargument, die Frauen hätten halt die „falschen“ Berufe gewählt, wurde gerade in Oberösterreich bei der Zusammensetzung der neuen Landesregierung wieder einmal bestätigt: die Männer haben für sich die „richtigen“ Berufe gewählt! Weder der ehemalige Religionslehrer als Landeshauptmann, noch ein Kumpan in einer der anderen Parteien, kam auf die Idee, auch nur eine einzige Frau in dem erlauchten Gremium zu dulden. Unsere christlichen Abendländer sollten sich an die Bergpredigt erinnern: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ (Matthäus 7,3)

Erschreckend dagegen ist der jüngste Bericht über die Ausweitung des Waffenbesitzes im privaten Bereich. Ein Motiv dafür dürfte unter anderem die Flüchtlingssituation sein. Die Kriminalstatistik gibt dafür allerdings keine Begründung. Zum Fürchten ist allerdings die Entwicklung am rechten Rand der Gesellschaft. In Deutschland brennen Flüchtlingsunterkünfte serienweise ab. Und in Österreich üben „besorgte“ BürgerInnen ihre Hassparolen nicht nur in Spielfeld.


* Amani Abuzahra lehrt an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems. Sie dissertiert im Bereich der Interkulturellen Philosophie und forscht zum Thema der hybriden Identität. Ihr Buch „Kulturelle Identität in einer multikulturellen Gesellschaft“ erschien im Passagen-Verlag.

[ WAZ Dezember 2015 ]



Kategorien:Österreich, International, Politik, WAZ

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