Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.
Unter diesem Titel und beginnend mit dem oben zitierten Absatz veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ im April 2012 eines der berühmtesten Gedichte von Günter Grass. Viele neue Freunde verschaffte er sich damit nicht. Im Gegenteil, etliche der ewigen Adabeis, die sich so gerne im Lichte großer Menschen sonnen und hoffen, dabei etwas von deren Ruhm abbekommen zu können, waren verwirrt und wandten sich ab. Das kam nicht überraschend, klare Worte zu klaren Tatbeständen ist man heute nicht mehr gewöhnt. Doch soll der Nahe Osten, mit dem sich Grass in dem Gedicht auseinandersetzte, nicht das heutige Thema sein. Obwohl viele der dort seit Jahren begangenen Verbrechen – angeblich immer wieder zur Rettung der Demokratie – Ursache für die verzweifelte Flucht vieler Tausender Menschen sind. Kehren wir besser vor unserer eigenen Haustüre.
Am 11. September berichtete die „Wiener Zeitung“ auf der Wirtschaftsseite über den Verkauf von Casinos-Anteilen an Tschechen. Dabei wurden die neuen Großaktionäre wie folgt charakterisiert (alles wörtliche Zitate!):
„Gegen den Reeder läuft seit dem Jahr 2013 ein Verfahren wegen Kraftstoffschmuggel. Die Finanzbehörden ermitteln zudem wegen Geldwäsche.“
„In dem Bericht, der sich laut Medienberichten ‚wie der Script eines Gangsterfilmes‘ las, werden Komárek und sein Vater, der nach der Wende 1989 das Firmenimperium begründet hat, als ‚unerreicht korrupte Betrüger und Gangster‘ bezeichnet. Komárek klagte. Die Klage wurde abgewiesen, Komárek zur Zahlung einer Geldstrafe verdonnert.“
Erschreckend? Nicht genug! Was war die Reaktion der nicht zum Zuge gekommenen niederösterreichischen Novomatic? „Es sei schade, ‚dass damit eine österreichische Lösung aufs Spiel gesetzt wird‘, so Novomatic-Sprecher Hannes Reichmann.“ Das war alles! Dass „korrupte Betrüger und Gangster“ und dergleichen in der Wirtschaft heute das Sagen haben, ist offensichtlich keinen Kommentar wert, das versteht sich von selbst?
In wenigen Tagen wird in Wien der Gemeinderat und damit der Bürgermeister gewählt. Ich werde Ihnen nicht sagen, wen Sie wählen sollen. Ich werde jedenfalls keine Partei wählen, die oben beschriebene Zustände kommentarlos zur Kenntnis nimmt, auch wenn sie sich noch so bürgerlich anständig gibt. Ich werde auch keine Partei wählen, die sich auf dem Rücken verzweifelt flüchtender Menschen profiliert und den erbärmlichsten und schäbigsten Instinkten neues Futter liefert. Ich möchte auch nicht noch einmal bei jedem Zusammentreffen mit ausländischen Freunden versichern müssen, „Ich habe ihn nicht gewählt!“
[WAZ Oktober 2015 ]
Kategorien:Österreich, Politik, WAZ
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