Heute Steyr, morgen Liesing?

Am 21. April 2021 lehnten fast zwei Drittel der rund 2000 Arbeiter*innen und Angestellten in einer Urabstimmung im MAN-Werk in Steyr den Übernahmeplan des Investors und Aufsichtsratsmitglieds im VW-Konzern Siegfried Wolf ab. Mit diesem Plan hätten 40% der Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verloren und alle verbliebenen Arbeiter*innen hätten auf 15% ihres Lohns verzichten müssen. Und das, obwohl das Geschäft insgesamt für den Konzern 2020 trotz Pandemie nicht schlecht gelaufen war. Der Auftragseingang stieg im 2. Halbjahr 2020 um 21% und im 1. Quartal 2021 erreichte der Konzern ein EGT von über einer halben Milliarde Euro.

Bereits vor der Urabstimmung wurde massiver Druck auf die Arbeiter*innen und Angestellten ausgeübt, um sie zu bewegen, dem erpresserischen Projekt zuzustimmen. Plötzlich waren sie für den Erhalt des Produktionsstandorts Steyr verantwortlich und nicht das von VW eingesetzte Management bei MAN. Der Erhalt von 8000 Arbeitsplätzen in der Region und eine Milliarde Euro an österreichischer Wertschöpfung wackelt, wenn sie sich nicht erpressen lassen würden.

Bereits in der Vergangenheit hat die VW Führung bewiesen, dass ihnen Eigenkapitalrendite und Börsenkurse wichtiger sind als die Menschen, was am Abgas-Skandal deutlich zu sehen war. Warum kann die Konzernleitung so erpresserisch vorgehen? Es ist das EU-Rahmenrecht, das es ihnen ermöglicht, eine bis 2030 abgegebene Standortgarantie zu kündigen. Die im EU-Rahmenrecht verankerte Kapitalverkehrsfreiheit garantiert den Eigentümern, dass der Götze Eigenkapitalrendite unangetastet bleibt.

Es ist aber auch der Umstand, dass die österreichische Bundesregierung den mit dieser Erpressung verbundenen Aufgaben überhaupt nicht gewachsen ist, und mit ihrer Haltung den VW-Eigentümern und dessen Management den besten Dienst dabei erweist, sich ungestraft wie Heuschrecken verhalten zu können. Sie nehme die Entscheidung der Beschäftigten „mit Bedauern“ zur Kenntnis, verlautbarte Wirtschaftsministerin Schramböck. Wir brauchen aber keine Wirtschaftsministerin, die den Mut und die Entschlossenheit der Steyrer*innen bedauert!

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Arbeiter*innen und Angestellten nicht zu den Großspender*innen der türkisen NVP zählen. Bei diesen zeigte sich die Regierung viel aktiver: KTM-Chef und türkiser Großspender Pierer bekam von der Republik rund 11 Millionen Euro Corona-Hilfen zur gleichen Zeit, als er sich 7 Millionen Euro Dividende genehmigte und sich und seinen Vorstandkollegen im Corona-Jahr die Bezüge um 30% erhöhen ließ. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Pierer & Konsorten im Unterschied zu den Steyrer Arbeiter*innen nicht zu dem „Pöbel“ gehören, wie man es in der neuen türkisen Terminologie so trefflich zu klassifizieren weiß.

Vorabdruck aus der WAZ – Wohnpark Alterlaa Zeitung, Ausgabe Juni/Juli 2021



Kategorien:Arbeitswelt, Österreich, Politik, WAZ, Wirtschaft, Wohnpark Alt-Erlaa

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