Nicht genügend!

„Bildung ist Pflicht“, unter diesem Titel stellt am 19. September 2019 die ÖVP ihr Bildungsprogramm vor. Man müsse verhindern, dass Jugendliche die Schule verlassen, ohne fit für den Arbeitsplatz zu sein, die Bildungspflicht soll daher an die Stelle der Schulpflicht treten.

Abgesehen davon, dass Bildung schon wieder einmal auf Ausbildung reduziert wurde, „fit für den Arbeitsmarkt“ sei das Ziel, übersah man, dass bereits am 6. Juli 2016, also 3(!) Jahre vor der Erstellung des neuen ÖVP-Programmes, im Nationalrat die Ausbildungspflicht bis 18 beschlossen wurde! Und das als ein Gesetz im Verfassungsrang, beschlossen also auch mit den Stimmen der ÖVP-Abgeordneten! Die Parlamentskorrespondenz Nr. 808 vom selben Tag berichtete:

Die Ausbildungspflicht für Jugendliche bis 18 schaffte es heute durch den Nationalrat. Die Grünen sorgten für die nötige Zweidrittelmehrheit. Gelten wird die Ausbildungspflicht somit für alle Jugendliche, die mit Ende des Schuljahrs 2016/17 bzw. danach ihre allgemeine Schulpflicht erfüllt haben.

Dieses Verfassungsgesetz sollte also in der letzten Legislaturperiode bereits umgesetzt werden! Ist niemandem in der Regierung aufgefallen, dass es Handlungsbedarf gebe? In besagter Parlamentskompetenz vom 6. Juli 2016 hieß es doch:

Zur rechtlichen Absicherung wird ein neuer Kompetenztatbestand „Ausbildungspflicht für Jugendliche“ in der Verfassung verankert, wobei sowohl die Gesetzgebung als auch die Vollziehung beim Bund liegen.

Noch viel beschämender als all diese Versäumnisse ist allerdings, dass man immer noch maria-theresianischen Bildungsvorstellungen anhängt. Deren Reformen waren keineswegs dafür ausgelegt, mündige Staatsbürger heranzuziehen: In der Schule sollten die Zöglinge auf ihre Untertänigkeit gegenüber Gott und den HerrscherInnen vorbereitet werden. Die Soldaten sollten, nach etlichen verlorenen Kriegen gegen Friedrich dem Großen, endlich auf das Niveau der Soldaten Preußens gebracht werden. 1774 folgte die Einführung der allgemeinen Unterrichtspflicht, die für die meisten Mädchen und Buben eine Schulpflicht darstellte, weil sich ihre Eltern keine Hauslehrer leisten konnten, und es ist mehr als ein Zufall, dass Maria Theresia den Reformer Ignaz Felbiger aus Preußen „ausborgte“.

Die „fitten“ Untertanen sollen heute auch fit für den Arbeitsmarkt sein. Ja keine Fragen stellen, die den Herrschenden und ihren politischen Akteuren unangenehm werden könnten! Die Welt, in der wir leben zu verstehen zu versuchen, wird immer noch als Luxus, den sich nicht jeder leisten muss, betrachtet. Die Schulnote für dieses beschränkte Bildungsziel des 18. Jahrhunderts kann daher nur „Nicht genügend“ sein!



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