Der Wiederaufbau Österreichs nach dem 2. Weltkrieg war für die heutige PensionistInnengeneration ohne Zweifel das prägende Erlebnis ihres Lebens. Der kontinuierliche Anstieg des privaten Konsums, der Wiederaufbau der sozialen Sicherheitssysteme inklusive einer kostenlosen Gesundheitsversorgung sowie die Ausweitung der Bildungsangebote trugen maßgeblich zu einer Festigung der wiedererlangten Demokratie bei. Die Erinnerung an insgesamt 12 Jahre christlichen Austrofaschismus und deutsche Nazibarbarei, bei der auch nicht wenige ÖsterreicherInnen ganz ordentlich mitmachten(!), war noch zu frisch, um Lust auf neue Abenteuer aufkommen zu lassen.
Seit den 1970er-Jahren mehren sich jedoch Krisen. Die ökologischen Folgen des Konsumwachstums lassen sich nicht mehr verdrängen. Der Konkurrenzdruck in den Unternehmen und auf den Arbeitsmärkten nimmt zu. Der gesellschaftliche Konsens über die Notwendigkeit von sozialem Ausgleich nimmt ab. Finanzgeschäfte wurden als neue Goldgruben entdeckt. Viel Geld zu machen ohne dafür arbeiten zu müssen, gilt seither als smart. Deregulierung und Privatisierung sind die neuen Allheilmittel. „Mehr privat – weniger Staat“ war auch Bundeskanzler Dr. Schüssels Lieblingsspruch. Als vor nunmehr fast 1o Jahren das Finanzkasino platzte, riefen aber gerade jene nach dem Staat, die ihn zuvor zu demontieren versuchten. Dieser sprang ein und verschuldete sich weiter!
Heute leben wir in einer eigenartigen Situation: trotz einer einzigartigen Wirtschaftsproduktivität steigen Unzufriedenheit, emotionale Belastungen und Zukunftsangst. Dabei entsprechen den empfundenen Ängsten durchaus zunehmende reale Steuerungsprobleme in einer komplexer werdenden Welt. Aktivität ist Trumpf, schneller neues Wirtschaftswachstum zu generieren ist unwidersprochen das Ziel der Politik. Doch das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Wer zu lange zu schnell läuft erreicht selten sein Ziel. Das gilt wohl auch für die Gesellschaft. Mark Twains Aussage vor 100 Jahren: „als sie die Orientierung verloren, verdoppelten sie ihre Marschgeschwindigkeit“ könnte eine treffende Beschreibung der heutigen Situation zu sein. In zunehmendem Ausmaß leben wir in einer „Gesellschaft der Angst.“
Anzuhalten und richtige Fragen zu stellen, scheint das Gebot der Stunde zu sein. Auf falsche Fragen bekommt man falsche Antworten. Es geht um die Ziele, um die Frage, wohin wir wollen, und nicht um das „noch schneller unterwegs sein“. Qualtingers Karikatur des Nachkriegsösterreichers „ich weiß nicht wohin ich will, dafür bin ich schneller dort“ sollte uns immer noch Mahnung sein.
Vorabdruck aus der WAZ – Wohnpark Alterlaa Zeitung, Ausgabe März/April 2017
Kategorien:Österreich, Politik, WAZ
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