Als politische Metapher wurde das Sprachbild „Festung Europa“ im 20. Jahrhundert zuvor u.a. im Nationalsozialismus als Slogan der ersten Kriegsjahre des Zweiten Weltkriegs verwendet, „[…] der die Stärke des von der Achse beherrschten Kontinents im Kampf gegen die Alliierten ausdrücken sollte“.[i] Im Kontext mit Zuwanderung wurde diese Metapher erstmals im Zusammenhang mit der Schweizer Debatte um die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge 1942 diskutiert, als der Schweizer Justizminister Eduard von Steiger die Schweiz mit einem überfüllten kleinen Rettungsboot verglich.[ii]
Im Österreich des Jahres 2016 (wieder-)betätigt sich nun die Innenministerin Mikl-Leitner als Fan des ehemals nationalsozialistischen Begriffs „Festung Europa“. „Die Vorzeichen – vermehrte Aufgriffe und Schleppertätigkeit – Richtung Bulgarien seien bereits erkennbar“, warnte Mikl-Leitner. Mitte März war sie gemeinsam mit Verteidigungsminister Doskozil selbst in Bulgarien. Mikl-Leitner bekräftigte ihre Auffassung, dass aus Europa „eine Festung“ werden müsse – „jetzt sind wir gerade dabei diese zu bauen“.
Wir nehmen „besorgte Bürger“ ernst, erzählen uns Politikerinnen, die Wahlen gewinnen wollen. Wir müssen die Sorgen der Bürger ernst nehmen, erzählen jene, die Wahlen verloren haben. In der ersten Aussage steckt Populismus, in der zweiten heißen Luft. Existenzängste um Job und Obdach haben mehr mit der Wirtschaftslage und dem Wohnungsmarkt als mit Asylwerbern zu tun. Die auf der Straße oder im Liesinger Haus der Begegnung als „besorgte Bürger“ auftretenden Mitmenschen nennen daher auch den Verlust der westlichen, christlichen bzw. europäischen Werte ihre Sorge. Werte, die etliche von ihnen – um deren Verteidigung willen – selbst mit Füßen treten. Seit einem halben Jahr grassiert der hochinfektiöse Bazillus des Hasses. Sein Wirt war lange relativ gut im Zaum gehalten, doch nun ist er losgelassen und verbreitet den Keim, der die Gesellschaft langsam von innen heraus zerfrisst. Politiker, die sich für den Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge an den Grenzen aussprechen, werden gefeiert und gewählt. Ausländer verprügelt. Rassistisches offen verbreitet. Im vergangenen Jahr wurden so viele ausländerfeindlich motivierte Straftaten in Österreich begangen wie in den drei Jahren davor zusammengenommen.[iii]
Noch ist Zeit, anzuhalten und unseren Nachbarinnen, ebenso wie den „verständnisvollen“ Politikerinnen, verstehen zu geben, dass wir all den billigen Populismus gründlich satthaben. Als erste Therapie schlage ich vor, Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“ noch einmal anzusehen. Fassbinders Befund aus 1974 ist ungebrochen gültig.
[i] Berning-Schmitz, Cornelia. 2000. Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin/New York: de Gruyter, S. 232.
[ii] Vgl. Kreis, Georg. 2004. „Das Bild und die Bilder von der Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges.“ In Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Band 1, hg. v. Monika Flacke, S. 593–619. Mainz: Phillipp von Zabern, hier S. 602.
[iii] TIROLER TAGESZEITUNG, Ausgabe vom 21. März 2016, Leitartikel von Gabriele Starck: „Werte zu bewahren heißt, sie zu leben“
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