Schlicht, einfach und doch eher armselig

Beim Amoklauf im Bundesoberstufenrealgymnasium Dreierschützengasse in Graz am 10. Juni 2025 wurden neun Schüler und eine Lehrerin mit legal erworbenen Schusswaffen getötet und weitere elf Menschen verletzt. Der jugendliche Attentäter, ein ehemaliger Schüler, der vorzeitig nach etlichen Problemen die Schule verlassen musste, beging noch am Tatort Selbstmord. Am 24. September hat die Bundesregierung als Konsequenzen daraus eine Novelle des Waffengesetzes im Nationalrat beschließen lassen. Und das war alles?

Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich an den Schulstart meiner Tochter vor einem Vierteljahrhundert in der Junior High School Carlbergergasse, damals als öffentlicher zweisprachiger „Schulversuch Kooperative Mittelschule“ der Gemeinde Wien geführt. Schuldirektorin Maria Wurm erklärte bei der Anmeldung, dass neben dem zweisprachigen Unterricht, für mich der Hauptgrund für die Wahl dieser Schule, großer Wert auch auf den Erwerb von sozialer Kompetenz gelegt werde. Ich fand das hervorragend, fragte mich aber wie diese vermittelt werden soll. Beim ersten Treffen der Eltern mit dem zukünftigen Klassenvorstand Andreas Berghöfer, Mathematiker und Musiklehrer, erklärte dieser eines der hoffentlich gemeinsamen Ziele keines der Kinder im Laufe der Jahre zurückzulassen. Damit alle gemeinsam die 4. Klasse erreichen! Und das ohne Abstriche beim bekannt außerordentlich hohen Niveau des Schulversuches! Um die unterschiedlichen Begabungen zu berücksichtigen, sollten die SchülerInnen eng zusammenarbeiten. Die Sprachkoryphäen sollten den sprachlich weniger Begabten helfen, die Mathematikkaiser und -kaiserinnen den rechnerisch weniger Begabten. Diese Vorstellung entspricht zwar nicht dem weitverbreiteten und unserer Gesellschaftsordnung inhärenten Wettbewerbsdenken, hat aber wesentliche Vorteile! Erstens ist von Anbeginn klar, was gerade in der Klasse durchgenommen wurde, schließlich gehen beide in dieselbe Klasse. Zweitens gibt es kaum ein besseres Verfahren, um einmal erworbenes Wissen zu verfestigen als dieses in eigenen Worten wieder weiterzugeben und zu erklären – eine ausgesprochen „win-win-Situation!“

In der realen Welt gelang es leider nicht, wirklich alle bis zum Abschluss mitzunehmen. Ein Schüler musste, auch auf Grund von äußerst schwierigen Umweltbedingungen, auf die hier nicht weiter einzugehen ist, leider die 3. Klasse wiederholen. Und trotzdem, die Vermittlung von sozialer Kompetenz scheint gelungen! Kurze Zeit nach dem „Absturz“ und dem Ausscheiden aus dem Klassenverband traf ich den Schüler gemeinsam mit ehemaligen KlassenkameradInnen im Wohnpark miteinander scherzend und spielend an. Welch Unterschied zu Graz!

Ich hätte mir erwartet, dass Regierung und Parlamentsparteien zur Lösung des Problems nicht nur eine Novelle des Waffengesetzes eingefallen wären. Schließlich fand der Schulversuch vor einem Vierteljahrhundert statt. Es wäre hoch an der Zeit, dass dessen Erkenntnisse endlich auch Eingang in das Regelschulsystem finden!



Kategorien:Bildung, Politik, WAZ

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